Vespa-Gabel überholen

So primitiv die Vorderradaufhängung einer Vespa aussieht - sie ist ein Musterbeispiel für konstruktive Reduzierung auf das Wesentliche: form follows function. Die Gabel hat starke Ähnlichkeit mit den Bugfahrwerken der damaligen Flugzeuge - Die "Wurzeln" machen sich eben doch immer bemerkbar... Wie ausgereift diese 1948 eingeführte Konstruktion ist sieht man auch daran, daß sie quasi unverändert bis in die 80er Jahre in fast allen Rollermodellen verwendet wurde und auch die heutigen ET2/4-Gabeln auf dem selben Prinzip basieren. Es änderten sich im Wesentlichen nur noch die Bremsen und die Radgröße.

Hier kurz die Evolution der Vespa-Gabel:



Die "klassische" Vespa-Gabel mit separatem Stoßdämpfer. Extrawurst: GS160 / SS180-Gabel mit integriertem Dämpfer


Bei der Restauration einer Vespa sollte man bei der Vorderradaufhängung besondere Sorgfalt walten lassen, denn sie ist das wichtigste Teil für unsere Sicherheit. So oft man beim Restaurieren Kompromisse eingehen muß - hier kann Schlamperei tödlich enden! Bevor die Gabel ausgebaut und zerlegt wird sollte sie auf Verschleiß und Spiel überprüft werden - mit gewaltsamen Wackeln an allen beweglichen Teilen. Der Stoßdämpfer erfüllt seine Funktion meistens nicht mehr - das äußert sich durch schlagartiges Ausfedern und vibrationsartiges Ruckeln beim Bremsen mit der Handbremse. Ein Spiel im Gabellager (oben und unten) erkennt man am Besten durch Vor- und Zurückziehen der Gabel bei aufgebocktem Roller. Wenn der Roller noch fährt sollte man auch mal (vorsichtig!) versuchen freihändig zu fahren. Die Vespa zieht dann zwar, bedingt durch "schräges Fahren" wegen dem außermittigen Motor leicht nach links - muß aber unbedingt ruhig in der Spur bleiben, sonst stimmt etwas nicht.
Der unumstrittene Klassiker unter allen Gabeldefekten ist aber (Modellübergreifend) eine ausgeschlagene Schwingenlagerung.


Robin beim Gabeltesten


Der Ausbau der Gabel ist eigentlich bei allen Vespamodellen gleich:

- Hinterrad demontieren, damit das Vorderrad höher kommt
- Vorderrad demontieren

- Lenker demontieren b.z.w. lösen und hochschieben (bei Rollern mit innenliegenden Zügen müssen diese vorher gelöst werden)
- Oberen Lagerring lösen (Hakenschlüssel oder Hammer und dicker Schraubenzieher)
- Unteren Schraubring (Lagerschale) ganz langsam lösen - gleich prasseln die Kugeln des unteren Gabellagers heraus und verteilen sich auf dem Boden; diese am bestem auffangen indem man einen Karton unter das ganze Vorderteil stellt. Bei den 150er Rollern der GS und T-Serie sind es übrigens 19 Stück unten und 28 oben, meistens aber immer eine mehr als man findet...
- Wenn das gut gegangen ist hat man beim oberen Lager nochmals die Gelegenheit ein paar Kugeln in den Rahmen fallen zu lassen...
- Jetzt kann die komplette Gabel nach unten aus der Karosserie gezogen werden.

Beim weiteren Zerlegen der Gabel sollte man sich genau die Positionenen der einzelnen Scheiben und Kleinteile merken oder Bilder machen, sonst wird es später ein Geduldspiel mit frisch lackierten Teilen! Bebilderte Ersatzteillisten sind eine große Hilfe.


Praktisch: Explosionszeichnungen aus alten Ersatzteillisten


Schutzblech demontieren

Als nächstes wird der vordere Kotflügel abmontiert. Dazu muß man bei allen Vespas die ich kenne die untere Schale des Gabellagers entfernen. Die Lagerschale sitzt mit einer Preßpassung auf der Gabel - läßt sich aber nach Erhitzen verhältnismäßig leicht mit einem Stemmeisen oder Schraubenzieher von ihrem Sitz klopfen. Wichtig ist nur, daß man gleichmäßig rundherum klopft um den Ring nicht zu verkanten.

Zink

Beim weiteren Zerlegen in die Einzelteile stellt man fest, daß es hier ziemlich viele unlackierte Kleinteile gibt, die ursprünglich einmal verzinkt waren. Neben allen Schrauben und Muttern sind es diverse Blechwinkel, die Bremsanlenkung und die Feder. Es ist wirklich nicht teuer und sehr bequem diese Kleinteile sandstrahlen und neu verzinken zu lassen - vom Rostschutz und der Optik ganz zu schweigen. Die Lagerbolzen oder die Achse dürfen auf keinen Fall galvanisch behandelt werden weil dies die Teile verspröden kann! (Die Passflächen für die Lager sind dann natürlich auch hinüber...) Bei deutschen Vespas ist die Vorder-Feder übrigens verchromt. Ob die Feder neu verchromt werden kann hängt im wesentlichen von der Oberfläche ab. Wenn sie richtig stark verrostet ist kann auch der geduldigste Schleifer nichts machen; und dann sieht Zink (matt) besser aus als narbiger Chrom - billiger ist's sowieso!

Asbest

Irgenwann stößt man dann auf die Bremsbeläge: Irgendwie weiß keiner, ob die Beläge in den 50er Jahren Asbest enthielten - es ist aber auf jeden Fall besser alte Beläge bei Restaurierungsobjekten immer zu wechseln, auch wenn noch ein bißchen was drauf ist...
Dabei möglichst wenig von dem alten Bremsstaub aufwirbeln oder gar wegblasen. Neulich hab ich irgendwo den Tip gelesen die ganze Bremse mit Fensterputz-Sprühschaum einzusprühen und so den Staub zu binden. Gar nicht dumm! Die Beläge der PX passen übrigens bei (fast?) allen 10"-Oldies, bei den 8"-Rollern sind's die der V50.

Lager

Die Schwinge ist in der Gabel mit einem Bolzen und zwei Nadellagern aufgehängt, dieser Bolzen kann nach Entfernen der Bremsbeläge zur Bremstrommelseite herausgeklopft werden. Bei allen Rollern außer den Smallframes sind die Nadeln offen ohne Käfig in der Lagerbuchse, also Vorsicht beim Zerlegen! Der Lagerbolzen hat oft mangels Schmierung deutliche Riefen der Nadeln eingedrückt und ist damit Schrott. Oft bleibt nichts anderes übrig als einen kompletten Lagersatz zu kaufen weil es diese Bolzen inzwischen kaum noch einzeln gibt. Das Wechsel der Schwingenlager geht ganz einfach mit diesem Trick.

Die beiden Radlager sind bei allen alten Vespas identisch, nicht sehr teuer (10DM / Stück) und deshalb sicherheitshalber zu tauschen. Zum Ausbauen Achsmutter lösen (Smallframes: LINKSGEWINDE!), die ganze Schwinge auf den Ofen legen, heißmachen und die Achse mit einem Körner herausklopfen. Das innere Lager geht meistens gleich mit; das äußere von der Bremsseite mit einem Durchschlag herausklopfen. Einbau in umgekehrter Reihenfolge. Kalte Lager in heißen Schwingenkörper klopfen. (zart, nie auf den Innenring schlagen!)
Ab der "neuen" Bremstrommel haben die Vespen einen Wellendichtring, der die Bremse vor dem Lagerfett schützt. Meistens hat er nicht viel zu tun, weil fast immer vergessen wird die Vorderachse abzuschmieren! Wenn man es doch tut zeigt sich schnell und deutlich ob der Ring noch dichtet. Diesen sollte man bei der Gelegenheit auch gleich mit austauschen - die Feder muß in Richtung Bremstrommel zeigen.
Die alten Vespas haben an dieser Stelle einen Filzring, der sich in der Regel schon in Auflösung befindet... Im Bastelladen gibt es dicken Filz - mit der Nagelschere ausschneiden - fertig! Es ist die Mühe wert.

Ein Filzpantoffel reicht für die nächsten 20 Vespas


Nieten

Die Bremstrommeln der 10"-Fahrwerke sind etwas größer und aus dem Grund auf der Rückseite mit einem aufgenieteten Blechring abgedeckt, der typischerweise stark rostet. (Ungünstige Werkstoffkombination Alu / Stahl) Am besten entfernt man ihn durch Wegfeilen der Nietköpfe und entrostet und grundiert ihn separat. Passende Aluniete kosten Pfennige, der erforderliche Nietkopfformer ca. 5DM - das Ergebnis ist absolut originale Optik bei absoluter Rostfreiheit. Auf die Technik des Nietens soll später im Kapitel "Trittleisten" eingegangen werden.

Farbe

Die meisten Teile des Fahrgestells sind lackiert, das ist klar - nur in welcher Farbe? Es gibt ein paar Grundsätze, die sich auf alle Vespamodelle anwenden lassen, aber natürlich auch einige Ausnahmen:

Die silberne Farbe von Piaggio für das Fahrwerk heißt "alluminio" (Aluminium) und sieht auch so aus! Ein ziemlich heller Farbton mit einer Art 'Weiß-Stich'. Bremstrommeln und Smallframe-Vorderachskörper, die ursprünglich verzinkt waren kann man als Kompromiß auch lackieren, und zwar mit einem matten Silbergrau. (Dunkler als die Felgen)

Stoßdämpfer

Wenn beim Bremsen die Vorderachse wie wild auf und ab hüpft hat
a) die Bremstrommel einen Schlag (sehr selten) oder
b) der Stoßdämpfer keine Wirkung mehr (sehr oft)

Die externen Stoßämpfer der alten Vespas lassen sich öffnen und neu mit Öl füllen, das wirkt oft schon Wunder. Für die kombinierten Federbeine gibt es soviel ich weiß keine andere Möglichkeit als sie auszutauschen. Teilweise kann es auch passieren, daß die Schraubenfedern ausleiern oder sich dauerhaft stauchen (bevorzugt bei GS150 und Rally) - hierfür gibt es inzwischen Ersatzfedern in diversen Längen und Härten.


Resümé

Wie man sieht kann man sich ziemlich viel Arbeit mit einer Vespa-Gabel machen. Oft genug sieht man aber "restaurierte" Roller, bei denen das ganze Fahrwerk nur mal mit der silbernen Spraydose übersprüht wurde... Zusätzlich hat man bei einer kompletten Überholung jedes Teil mal in der Hand und kann es auch auf seine Wiederverwendbarkeit überprüfen. Meine schlimmste Horrorvision ist ein Gabelbruch mit der GS bei 90 km/h! Auch wenn die Gabel eine solide Konstruktion darstellt kann in 40 Jahren (oder mehr!) einiges passieren - hier sollte man also wirklich ganz ganz pingelig sein!


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